IT-Programme der öffentlichen Hand müssen noch mehr als bisher gemeinsam entwickelt, betrieben und genutzt werden. Die Kosten sind unter Berücksichtigung eingebrachter Ressourcen sachgerecht und nachvollziehbar aufzuteilen. Die aus der IT-Gründerzeit stammenden Kieler Beschlüsse müssen durch ein zeitgemäßes betriebswirtschaftliches Modell ersetzt werden.
1 Ausgangslage
Die Landesverwaltung setzt informationstechnische Verfahren und Programme (IT-Programme) ein, welche sie selbst oder im Verbund mit anderen Gebietskörperschaften erstellt oder von anderen Gebietskörperschaften übernommen hat. Sie gibt selbst oder im Verbund erstellte IT-Programme auch an andere Gebietskörperschaften ab. Die Frage der Finanzierung gemeinschaftlich mit anderen Gebietskörperschaften erstellter oder weiterzuentwickelnder IT-Programme ist immer wieder Gegenstand von Prüfungsfeststellungen. Die an länderübergreifenden IT-Projekten beteiligten Verwaltungen sind oft unsicher, was sie unentgeltlich abgeben müssen beziehungsweise was sie in Rechnung stellen können.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Die Entwicklung der sogenannten Kieler Beschlüsse
Von öffentlichen Stellen entwickelte IT-Programme werden in unterschiedlichem Umfang in verschiedenen Gebietskörperschaften entwickelt oder genutzt. Von jeher stellte sich deshalb die Frage, wie Gemeinschaftsprojekte oder Nutzergemeinschaften die Kosten aufteilen. Zu beachten war und ist, dass selbst entwickelte IT-Programme oder gekaufte Software-Pakete Vermögensgegenstände sind. Diese dürfen nach § 63 Absatz 3 Satz 1 Landeshaushaltsordnung nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden. Damit Investitionen in verwaltungseigene IT-Programme mehrfach genutzt werden (können), hat der „Kooperationsausschuss Automatisierte Datenverarbeitung Bund/Länder/Kommunaler Bereich (KoopA)“ vor mehr als 40 Jahren die Kieler Beschlüsse entwickelt und zuletzt 1979 aktualisiert. Sie entfalten keine eigenständigen rechtlichen Wirkungen und enthalten keinerlei Anspruchsgrundlagen. Ihr vorrangiges Ziel ist, „die Kosten durch Vermeidung von Doppelarbeiten zu senken, die personellen Ressourcen effizient zu nutzen und auch Gebietskörperschaften mit geringerer Finanzkraft an der Verwaltungsautomation teilhaben zu lassen“.
Die Kieler Beschlüsse sehen vor, dass IT-Programme kostenlos an andere Gebietskörperschaften abgegeben werden dürfen, wenn die kostenlose Abgabe jeweils im Rahmen der Gegenseitigkeit im Haushaltsrecht verankert ist. Den rechtswirksamen Rahmen haben die einzelnen Gebietskörperschaften nach Beschlüssen der Innenminister- und Finanzministerkonferenzen in ihrem jeweiligen Haushaltsrecht geschaffen. Für Baden-Württemberg heißt es beispielsweise in § 8 Absatz 2 Staatshaushaltsgesetz 2010/2011, dass „nach § 63 Abs. 3 Satz 2 LHO … zugelassen [wird], dass von Landesdienststellen im Bereich der Datenverarbeitung entwickelte oder erworbene Programme unentgeltlich an Stellen der öffentlichen Verwaltung abgegeben werden, soweit Gegenseitigkeit besteht“. Ähnliche Formulierungen finden sich in den Haushaltsbestimmungen jedes anderen Landes und auch des Bundes. Die Voraussetzungen für eine kostenlose Weitergabe von mit Steuergeldern entwickelten IT-Programmen an andere Gebietskörperschaften bestehen somit. Einen Anspruch auf den kostenlosen Erhalt eines IT-Programms auf Basis der Kieler Beschlüsse und der haushaltsrechtlichen „Freigabe“ hat jedoch keine Gebietskörperschaft.
Hinsichtlich des nachträglichen Beitritts einer Gebietskörperschaft in den Nutzerkreis eines IT-Programms sind die Handreichungen zur Ausführung der Kieler Beschlüsse widersprüchlich. An einigen Stellen heißt es, dass die eintretende Gebietskörperschaft ein „Eintrittsgeld“ für bereits geleistete Entwicklungs- und Pflegeaufwände zahlen solle, an anderer Stelle wird dies ausdrücklich verneint.
Die Kieler Beschlüsse sehen weiter vor, dass Wartungs- und Pflegekosten eines IT-Programms von allen nutzenden Gebietskörperschaften gemeinsam getragen werden. Für diese Kostenaufteilung kommt häufig der sogenannte Königsteiner Schlüssel zur Anwendung, welcher sowohl die Einwohnerzahl wie auch die Wirtschaftskraft einer Gebietskörperschaft im Verhältnis zu den anderen Gebietskörperschaften berücksichtigt. Er weist für eine von allen Ländern zu finanzierende Maßnahme den prozentualen Anteil jedes einzelnen Landes aus.
2.2 Die Kieler Beschlüsse in der Praxis
Die Regelungen der Kieler Beschlüsse werden zur Finanzierung von IT-Vorhaben immer wieder herangezogen, wenn auch mit nennenswerten Abweichungen. Dazu zwei Beispiele:
Im Beitrag Nr. 5 der Denkschrift 2004 wurde unter Punkt 2.4.6 ausgeführt, dass neben Baden-Württemberg ein weiteres Land das von Baden-Württemberg entwickelte einheitliche Personalverwaltungssystem nutzt. Dessen Nutzung wurde dem anderen Land kostenlos eingeräumt, die Kosten für die Bereitstellung und Anpassung des IT-Programms sowie für dessen Betrieb und die Pflege wurden jedoch in fehlerhafter Anwendung des Königsteiner Schlüssels berechnet. Dabei wurde dem beigetretenen Land lediglich der prozentuale Anteil berechnet, wie er sich aus dem für 16 Länder ausgewiesenen Anteil des Königsteiner Schlüssels ableiten ließ. Sachgerecht wäre es gewesen, die Anteile der beiden Länder ins Verhältnis zueinander zu setzen und damit die Kostenanteile festzulegen.
Im Beitrag Nr. 4 der Denkschrift 2011 wurde u. a. das Lebenslagenportal service-bw benannt, welches in einer Kooperation des Landes mit einem externen Dienstleister entwickelt und betrieben wird. Das Land hat für dieses Vorhaben die Rechte an der Vermarktung des Produkts außerhalb Baden-Württembergs dem externen Dienstleister belassen. Es hat dabei angenommen, dass es so günstigere Konditionen für die Entwicklung und den Betrieb erhält. Eine kostenlose Weitergabe der entsprechenden Nutzungsrechte an andere Gebietskörperschaften war damit lizenzrechtlich ausgeschlossen.
2.3 Bewertung der Kieler Beschlüsse
Die Kieler Beschlüsse sind nicht mehr zeitgemäß. Seit 1979 hat sich die Informationstechnik beim Bund und in den Ländern wesentlich verändert. Standardprodukte nehmen heute jeweils einen weitaus stärkeren und bestimmenderen Anteil ein. Eine Weitergabe von Standardprodukten (z. B. Office-Produkte, Buchhaltungs- oder Ressourcenverwaltungs-Programme) ist jedoch häufig allein durch lizenzrechtliche Vorgaben des Herstellers ausgeschlossen.
Die Nutzung von mit Steuergeldern entwickelten IT-Programmen zur Unterstützung von Fachaufgaben, sogenannten IT-Fachverfahren, in anderen Gebietskörperschaften ist grundsätzlich begrüßenswert. Dies trägt zur Standardisierung der IT-Landschaft und einer höheren Wirtschaftlichkeit bei. Eine den Länderfinanzausgleich ergänzende Subventionierung darf es mit der kostenlosen Abgabe von IT-Fachverfahren aber nicht geben. Nach § 61 Landeshaushaltsordnung sind Aufwendungen, die eine Dienststelle des Landes für eine andere erbringt, zu erstatten. Wenn Landesbetriebe wie das Landeszentrum für Datenverarbeitung oder das Informatikzentrum Landesverwaltung Baden-Württemberg beteiligt sind, sind der Wert abgegebener Vermögensgegenstände und die Aufwendungen immer zu erstatten. Deshalb müssen in den Landesbetrieben in der Kosten- und Leistungsrechnung Aufwendungen verursachergerecht zugeordnet werden.
Eine kostenlose Überlassung oder eine nicht verursachergerechte Abrechnung von Leistungen unter Berücksichtigung eingebrachter Ressourcen tangiert nicht nur den Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit, sondern auch die Wirtschaftlichkeit.
Der IT-Planungsrat hat sich für 2012 im Rahmen der Nationalen E-Government-Strategie die Aufgabe gestellt, tragfähige Geschäftsmodelle durch die Weiterentwicklung der Kieler Beschlüsse zu entwickeln.
3 Empfehlungen
Das Land sollte verstärkt kooperieren, um IT-Programme zu erstellen und gemeinsam zu nutzen.
In Entwicklungs- und Nutzerkooperationen von IT-Programmen sollten die Kosten nachprüfbar und sachgerecht verteilt werden. Dabei sind eingebrachte Ressourcen anzurechnen. Weitere Nutzer müssten den nachträglichen Beitritt angemessen honorieren. Die Vorgehensweisen sollte das Land in den Verwaltungsvorschriften zu § 63 Landeshaushaltsordnung seinen Einrichtungen konkret und verbindlich vorgeben.
Die Kosten im Verbund erstellter und genutzter IT-Programme könnten beispielsweise nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt werden. Bei Verbünden, an denen nicht alle Länder beteiligt sind, sollten die im Königsteiner Schlüssel benannten Anteile der beteiligten Länder ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, um so den jeweiligen Finanzierungsanteil zu bestimmen.
Weiter sollte das Land bei den Beratungen im IT-Planungsrat zur Weiterentwicklung der Kieler Beschlüsse auf ein zeitgemäßes betriebswirtschaftliches Modell der IT-Zusammenarbeit hinwirken.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Innenministerium weist darauf hin, dass schon jetzt einzelne Ressorts das Anliegen des Rechnungshofs umsetzen würden. Dennoch müssten die Kieler Beschlüsse dahin gehend weiterentwickelt werden, dass durch Kooperationen der jeweilige finanzielle Aufwand bei der Entwicklung, Einrichtung und Pflege von IT-Programmen begrenzt würde. Gleichzeitig solle eine länderübergreifende Nutzung die Standardisierung und Wirtschaftlichkeit von IT-Programmen erhöhen. Die Verteilung von Kosten, die Anrechnung eingebrachter Ressourcen und die Höhe eines finanziellen Ausgleichs bei einem nachträglichen Beitritt zu bestehenden Kooperationen müssten jedoch noch weiter geprüft werden. Das Ministerium werde dieses Anliegen in das Projekt zur Evaluierung der Kieler Beschlüsse einbringen, welches im Auftrag des IT-Planungsrats gestartet wurde.
5 Schlussbemerkung
Der Rechnungshof begrüßt die Bereitschaft des Innenministeriums, das Anliegen in das Projekt des IT-Planungsrates zur Evaluierung der Kieler Beschlüsse einzubringen. Darüber hinaus müssen aber auch Regeln für die Verteilung von Kosten, die Anrechnung eingebrachter Ressourcen und über die Höhe des finanziellen Ausgleichs bei einem nachträglichen Beitritt in den Verwaltungsvorschriften zu § 63 Landeshaushaltsordnung verbindlich vorgegeben werden.